Aktuell

Lebenslauf

Publikationen

Rezensionen

Links

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eva Rieger: Minna und Richard Wagner - Stationen einer Liebe

Rezension von Klaus Umbach, DER SPIEGEL 20/2003 vom 12.05.2003, Seite 162

Käsekeulen für den Schuft

Für Richard-Wagner-Fans stand Minna Planer, die erste Frau des Komponisten, bisher ganz im Schatten ihrer Nachfolgerin Cosima. Nun schildert ein neues Buch ihre wüste Lebensgeschichte.
Stolzen Hauptes, in schwarze, maßgeschneiderte Roben gehüllt, durchschritt die hagere Regentin ihr Reich - Bayreuths eiserne Lady.

Im Prunk der Villa Wahnfried und im Gedünst des Grünen Hügels war sie dem Herrn Gemahl als "Allerseelenweib" eine ergebene Weggefährtin. "Die Palme", wie er sie nannte, wuchs sich aus zur Primadonna von Walhall, meißelte aus dem ungehobelten sächsischen Klotz den "höchsten Meister" voll "heiliger Kraft" und machte aus dessen Musik tönende Religion - Cosima Wagner (1837 bis 1930), die Gattin zu seinen Füßen.

Managerin ist sie ihrem Richard gewesen, Mystagogin und Mutter von drei - sämtlich vorehelichen - Kindern. Penibel hat sie in ihren Tagebüchern protokolliert, was immer der räsonierende Schwadroneur von sich gab, und nach dessen Tod, 1883, fand sie in dem Wahn Erfüllung, die Wagner-Kirche mit Weihrauch schwängern zu müssen.

Für Millionen Wagnerianer ist Cosima bis heute die "hohe Frau" geblieben, die aufopfernde Sekundantin und erleuchtete Deuterin des Jahrhundertgenies. Nur sie gilt als seiner würdig, und nur sie wird von der Nachwelt auch so hofiert - hochachtungsvoll Frau Richard Wagner.

Aber da war noch eine. Noch eine mit gleichem Recht und gleichem Titel. Noch eine, die mit dem kleinwüchsigen, zinkennasigen Hasardeur Tisch und Bett geteilt hat und sogar 29 Jahre mit ihm verheiratet war - immerhin 16 Jahre länger als die sagenhafte Cosima: Minna Wagner, geborene Planer, des Komponisten erste Ehefrau.

Im Leben von Richard Wagner stellt sie das Dummchen am Herd, in den Soaps um Wagner spielt sie das Hascherl. In den Augen der Bayreuther Heilsarmee war Minna schlichtweg nicht salonfähig - ein immer noch wirksamer Rufmord.

Jetzt, endlich, hat die Musikwissenschaftlerin Eva Rieger, 62, zur Revision des zähen Fehlurteils angesetzt: In ihrer Dokumentation "Minna und Richard Wagner" rollt sie - solide recherchiert und schnörkellos erzählt - die ganze Dramatik dieses Lebensbundes auf und komponiert aus den "Stationen einer Liebe" (Untertitel) eine große biografische Oper, mit Wonnen, Krächen und all den Ecken und Kanten einer hoch komplizierten Beziehungskiste*.

Die war - typisch Wagners - stets übervoll von hymnischer Inbrunst und bitterem Verdruss. Mal verzehrte sich Richard nach seinem "Herzensweibel", seinem "guten Karnikel", seiner "theuersten Gattin" und konnte sich, wenn sie mit Trennung drohte, "selbst auf der Straße meinen Thränen nicht wehren": "Oft blöke ich wie ein Kalb nach dem Stalle und nach dem Euter der nährenden Mutter." Dann wiederum wähnte er Minna "vom Dämon getrieben", beklagte eine "perennierende Meinungsdifferenz über alles und jedes" und kritisierte, nachdem er sie mit Mathilde Wesendonck hintergangen hatte, ihren Mangel "an der nötigen Bildung, um einer edlen, Ehrfurcht gebietenden Resignation Raum zu geben".

Minna hingegen - hübsch, mit Herz, Manieren und praktischem Geschick - sah klar, dass mit ihrem Mann nicht leicht Kirschen essen war: In ihm habe sie "mindestens vier kleine Kinder". "Bis die Nacht um zwei Uhr" habe ihr "lieber Richard seine Galle gegen mich ausgeschüttet", gestand sie einer Freundin. "Nichts ist dir heilig", warf sie ihm vor, "darum reißest du die kleinlichsten, ungerechtesten, verächtlichsten Beschuldigungen vom Himmel." Am Ende warf sie, nach eigenem Urteil "die unglücklichste Frau unter der Sonne", die Frage aller Fragen auf: "Hat ein genialer Mann das Recht, auch ein Schuft zu sein?"

Nicht nur im Umgang mit dem gemeinsamen Partner lagen zwischen den beiden Ehefrauen Welten. Minna war die Tochter eines sächsischen Stabstrompeters aus dem Erzgebirge, war mit 15 von einem Garde-Hauptmann geschwängert worden und hatte das Kind "im Wald oder an irgendeinem verlassenen Ort" (Rieger) geboren. Cosima hingegen kam als uneheliche Tochter von Franz Liszt und Gräfin Marie d''Agoult aus europäischem Blut- und Kunstadel, war, als sie sich in Wagner verguckte, die Gattin des angesehenen Dirigenten Hans von Bülow und ließ sich, lange vor ihrer Scheidung, mit dem Bayreuther Großmeister ein.

Cosima lebte im Pomp, Minna auf Pump. Die Herrin von Wahnfried hatte für alle niederen Dienste ihre Domestiken, Minna nähte dem Gatten Unterhosen, häkelte ihm Bettvorleger, bereitete ihm sächsische Käsekeulchen und schmückte seinen Alkoven mit Rosengirlanden und gepuffter Seide.

Die von Paladinen umschmeichelte Cosima erhob sich aus den Niederungen privater Finanzgeschäfte gern ins Gewölk ihres Sendungsbewusstseins, Minna hingegen stand stets mit beiden Beinen auf dem Boden harter Fakten - dass, beispielsweise, der Gatte nie Geld hatte und das, was er im Freundeskreis schnorrte, für nutzlosen Krempel verplemperte.

Als sich Minna und Richard 1834 kennen lernten, war er, als 21-jähriger Musikdirektor der Magdeburger Theatergesellschaft, im Gewerbe ein Nobody, sie immerhin eine respektable Schauspielerin. Doch kaum hatten die beiden zwei Jahre später in Königsberg geheiratet - er im dunkelblauen Frack mit Goldknöpfen, sie in Gala-Gewand nach seinem Gusto -, ging der Krach um sein lebenslanges Laster los: den Hang zum teuren Luxus.

Innerhalb eines Jahres orderte der mittellose Gelegenheitsdirigent beispielsweise 24 Meter Atlas und Seide, 18 Meter Damast, 35 Meter Musselin - und musste, kein Wunder, 1839 vor seinen Gläubigern ins Ausland fliehen.

Da die Pässe des jungen Paares beschlagnahmt waren, arrangierten Freunde eine Rettungsaktion bei Nacht und Nebel. Beim Gang über die russische Grenze fiel Richard in eine Jauchegrube, und Minna geriet so unglücklich unter den Transportwagen, dass sie ihre Leibesfrucht verlor und lebenslang unfruchtbar wurde.

Auf dem Weg zum Schiff, das sie nach England bringen sollte, mussten die Flüchtigen mit ihrer Bagage und dem Neufundländer Robber auf der Erde durch hohes, nasses Gras kriechen. Bis die offene See erreicht war, hockten sie, zwischen Fässern und Kisten versteckt, im untersten Schiffsraum. Im Skagerrak geriet der Segler in einen tagelangen Sturm, dann streifte er ein Riff. Die Wagners sehnten sich - kotzelend - in ihrer Kajüte den Tod herbei.

Das Abenteuer dieser Schiffsreise, später Motiv des "Fliegenden Holländer", war allerdings nur die Ouvertüre einer Odyssee, die der unstete Komponist seiner Frau jahrzehntelang zumutete: Er wechselte die Domizile wie seine seidenen Beinkleider. Allein in Zürich zog er innerhalb von sechs Wochen dreimal um.

Als der "Königl. Capellmeister" 1849 in Dresden an einem Putsch teilnahm, brachte Minna ihm nächtens zwar heimlich Esswaren, Wein und Schnupftabak auf den Beobachterposten, war aber "seelisch am Ende ihrer Kraft" (Rieger) und drohte mit Trennung: Die "verdammte Politik hätte mich ja beinahe ganz auseinander mit meinem Knübeltopf von Mann gebracht".

Nun, es ging noch 16 Jahre zusammen, aber gut ging es nicht mehr. Am 20. Hochzeitstag tanzte das Jubelpaar mit Freunden zwar noch eine übermütige Polonaise, auch dachte Richard an eine Übersiedlung nach Nordamerika und mahnte Minna: "Denke an nichts als unsre Wiedervereinigung."

Doch die Ehe war längst kaputt: Richard, chronisch klamm und in immer neue Weibergeschichten verwickelt, Minna, chronisch krank und durch immer neue Kapriolen des Gatten brüskiert. Eine Scheidung, auf die Richard mehrfach drängte, hat Minna indes bis zuletzt abgelehnt: "Er soll sich gedulden, bis Gott uns scheidet."

Als "mein liebstes, bestes Minel" in der Nacht des 25. Januar 1866 an einem Lungenödem starb, war Isolde, das erste Kind von Richard und Cosima, bereits neun Monate alt, und Eva, das zweite, wurde schon bald gezeugt. Für Nachwuchs im Wagner-Theater war damit gesorgt.

Copyright © 2005 by Eva Rieger. All Rights Reserved.