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DIE ZEIT 19.08.2004 Nr.35

Nachrichten vom lieben Minel

Zwei Bücher über Minna und Richard Wagner erzählen von den weiblichen Opfern für das männliche Gesamtkunstwerk

Von Christine Lemke-Matwey

Eigentlich ist Georg Herwegh an allem schuld. Auf dem Schreibtisch des Dichter-Revolutionärs nämlich stößt Richard Wagner erstmals auf Schriften Schopenhauers. Er erfährt, dass alle Weiber »kindisch, läppisch und kurzsichtig, mit einem Worte, Zeit Lebens große Kinder sind: eine Art Mittelstufe, zwischen dem Kinde und dem Manne, als welcher der eigentliche Mensch ist«. Wagner amüsiert sich köstlich. Endlich philosophisch verbrieft und schwarz auf weiß, was er am eigenen Leibe längst leidvoll erfahren zu haben glaubt? Die Weiber, so liest er weiter, »sehn immer nur das Nächste, kleben an der Gegenwart, nehmen den Schein der Dinge für die Sache und ziehn Kleinigkeiten den wichtigen Sachen vor«. Wagner schlägt sich auf die Schenkel: Dieser Schopenhauer muss Minna gekannt haben – sein »liebes Minel«, sein »gutes Karnikel«, seinen »allerbesten Querspahn«.

Sorgen wegen Geldmangel und chronischer Verstopfung

Das war zu Beginn der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts, und der Komponist richtet sich gerade in seinem Zürcher Exil ein. Das heißt: Minna richtet dieses Exil ein, besorgt ein Dach über dem Kopf, lässt Möbel nachkommen und Stoffe nähen. So wie sie es zwischen Königsberg, Riga, London, Paris und Dresden immer wieder getan hat, unzählige, mehr oder weniger verzweifelte Male. Dass Richard Wagner kein Frauenfeind gewesen ist, mag man daraus ersehen, dass er Schopenhauers Polemik weder auf Jessie Laussot noch auf Mathilde Maier jemals ernsthaft bezogen hätte – und auf Mathilde Wesendonck und Cosima von Bülow ohnehin nicht. Erstere blieben erotische Verzückungen und kamen gar nicht erst in die Verlegenheit, mit dem genialischen Hasardeur die Banalitäten eines wie auch immer intimen Zusammenlebens teilen zu müssen; und die anderen beiden hatten es schlicht nicht nötig, sich auf ein derart praktisches Niveau herabzulassen. Denn sie besaßen, was Wagner bis zu seiner wundersamen Errettung durch Ludwig II. anno 1864 am dringendsten brauchte: Geld. Geld für ein Leben ohne »gebundene Flügel«.

Christiane Wilhelmine Planer hingegen, Wagners erste Ehefrau, hatte kein Geld: weder von Haus aus, noch dass es ihr an seiner Seite je vergönnt gewesen wäre, auch nur halbwegs sorglos zu existieren. Fast 140 Jahre lang hat es die Forschung dabei bewenden lassen, am Rande der großen, eigentlichen Wagner-Themen über Minna die immergleichen Klischees zu verbreiten: Den einen musste die ehedem erfolgreiche Schauspielerin schon qua Profession als leichtfertige Herzens- und Ehebrecherin erscheinen, den anderen galt sie – nicht minder dankbar – als knickrig-kränkliche, zänkische, geistlose und ewig eifersüchtige Xanthippe. Jetzt gibt es gleich zwei Veröffentlichungen über Minna, die mit diesen Fratzen gründlich aufräumen: Eva Riegers Stationen einer Liebe sowie Sibylle Zehles Spurensuche. Beide übrigens bilden Minna auf dem Deckblatt grafisch im Schatten Wagners ab. Zwei Frauenbücher über ein ganz »normales« Frauenschicksal?

So unterschiedlich Ansatz und Ausführung auch sind, so einhellig präsentiert sich das neue Minna-Bild im Vergleich. Rieger und Zehle haben eifrig Quellen studiert, Tagebücher und Briefe gelesen, Zeugnisse der Zeit befragt, Archive konsultiert. Minna konnte es sich, wie gesagt, weder ökonomisch noch mental in irgendeiner Weise leisten, an der Seite von Richard Wagner die Position des »noch unvorhandenen, ersehnten, geahnten, unendlich weiblichen Weibes« einzunehmen, jenes »Weibes der Zukunft« eben, von dem Richard Wagner nicht erst zu Zeiten des Fliegenden Holländers träumte; aber sie war auch alles andere als das Dummchen am Herd, mit dem über Kunst nicht zu reden gewesen wäre. Die Ehe und dieses Gespräch zerbricht – und auch darin sind sich Rieger und Zehle einig – keineswegs erst mit der legendären Wesendonck-Affäre am Zürichsee, sondern viel früher: als Wagner sich 1848 zu Semper und Bakunin auf die Barrikaden der deutschen Revolution gesellt und seine Position eines Königlichen Kapellmeisters mit 1500 Talern lebenslänglichem Gehalt mutwillig, ja geradezu lustvoll aufs Spiel setzt. Diese Rücksichtslosigkeit kann ihm Minna nicht verzeihen, auch, weil sie ihn weniger von politisch-sozialen Visionen getrieben weiß als von ästhetischen: »Opernhaus nun abgebrannt. Sonderbares Behagen«, notiert Wagner nach der Zerstörung des Dresdner Hoftheaters – ein Haus, in dem immerhin sein Rienzi und der Holländer zur Aufführung gelangt waren. Wer dächte da nicht an Siegfrieds Tod wenige Jahre später und an den Wagnerschen Furor, das betreffende Opernhaus spätestens nach der dritten Vorstellung einzureißen und die Partitur zu verbrennen? Und wie sollte solch revolutionäres Kunst-Denken jemals in einer Beziehung lebbar sein, in der die Frau mit dem Größenwahn, den irrwitzig sich türmenden Schulden und der exzessiven Luxus- und Verschwendungssucht ihres Gatten täglich ebenso zu rechnen hatte wie etwa mit seinem »siechen Unterleib« (sprich: seiner chronischen Verstopfung)? Dass Minna dem über alles geliebten Papagei Knackerchen als erstes den Satz »Richard Wagner ist ein böser Mann« beibrachte, liest sich in diesem Zusammenhang durchaus nicht nur als Beleg sächsischen Humors.

Den Hund bestattet das Genie liebevoller als die Frau

Minna Planer wird 1809 im Erzgebirge geboren, bekommt mit 15 eine Tochter, Natalie, die sie zeitlebens als ihre Schwester ausgibt, heiratet 1836 in Königsberg, ist bald Wagners notorischer Eifersuchtsattacken müde und hängt die (erfolgreiche!) Schauspielerei an den Nagel, verliert auf der Flucht von Riga nach London, nachdem sie nächtens auf allen vieren durch feuchtes Gras gerobbt ist, ihr ungeborenes Kind und kann fortan nicht mehr schwanger werden. Und sie liebt diesen Richard Wagner, von dem die Musikwelt lange Zeit nicht weiß, ob er wirklich der messianische Neuerer des Musiktheaters ist oder nicht doch nur ein spaßiger Querulant und Scharlatan. Sie liebt ihn so innig und ist seinen Unterwürfigkeitsgebärden so sehr ausgeliefert, dass ihre ehedem attraktive, ja liebreizende Erscheinung lange vor ihrem 40. Geburtstag nicht wiederzuerkennen ist. Ihr »ganz unregelmäßiger Puls, die fortwährende Athemnot, die zitternde, bebende Stimme, der ängstliche gleichsam erschrockene Ausdruck des bleichen Gesichts, die stete, nicht zu verbergende Unruhe« – dies alles weist nicht nur auf den jahrelangen Gebrauch der Modedroge Laudanum hin, sondern auf eine konsequente seelisch-körperliche Zerrüttung. 53-jährig stirbt Minna an einer akuten Lungenembolie. Die Obduktion ergibt, wie zu erwarten, ein abnorm vergrößertes Herz.

Beide Autorinnen empfinden Sympathie mit diesem Schicksal. Während Eva Rieger indes streng wissenschaftlich vorgeht und seitenweise zitiert (was bisweilen zum Überblättern verführt), ist Sibylle Zehle eher von einem gewissen erzählerischen Ehrgeiz beseelt. Die eigene Anschauung der historischen Stätten, das Sich-Hineinversetzen in diverse Befindlich- und Gefühligkeiten (»Dann sieht sie Richard, gleich neben ihr liegt er, schlafend, gekrümmt wie ein Kind, die feinen Haare auf der Stirn verklebt…«), es erzeugt eine Atmosphäre, die einerseits den recherchierten Fakten gegenüber misstrauisch stimmt und sich andererseits aber auch bald wieder verflüchtigt. Das Leben der Minna Planer muss nicht dergestalt gedeutet und angereichert werden. Es spricht symptomatisch für sich. Richard Wagner jedenfalls, der in Marseille weilt, als Minna beerdigt wird, lässt, wieder »zu Hause« in Genf angelangt, seinen ebenfalls gerade verstorbenen Jagdhund Pohl exhumieren, wickelt das tote Tier in seinen Lieblingsteppich und bestattet ihn erneut. Mit Blick auf den See und in allen Ehren.

Eva Rieger: Minna und Richard Wagner

Stationen einer Liebe; Patmos Verlag, Düsseldorf/Zürich 2003; 444 S., 28,– €

Sibylle Zehle: Minna Wagner

Eine Spurensuche; Hoffmann und Campe, Hamburg 2004; 574 S., 24,90 €

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