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"Klangzauber
und -entzauberung", Rezension von Susanne Webel Geht das? Feministin zu sein und die Musik
Richard Wagners zu schätzen? Kaum zu glauben, aber es geht. Genau einhundert
Jahre ist es her, dass Virginia Woolf die Festspiele in Bayreuth besuchte, und
in einem Artikel für die "London Times" zwar befand, dass man in London bessere Aufführungen
erleben könne, gleichzeitig aber ihre Faszination für Wagners Musik und
besonders seine Oper Parsifal bekundete. Ausgerechnet Parsifal! Eine Oper, in
der Wagner, so Eva Rieger, die Frauen explizit ausschließt, weibliche Sexualität
dämonisiert und den Männerbund als Quelle alles Geistigen und Reinen feiert. Auch
Rieger weist auf die Faszination hin, die vom "einzigartigen Klangzauber"
des Parsifal ausgeht, gleichzeitig stellt sie aber die kritische Frage, wie man
heute mit dieser Oper umgehen kann. In einer ausführlichen Analyse, die Wagners
Biografie, den zeitgeschichtlichen Kontext, aber eben auch und vor allem seine
Musiksprache berücksichtigt, hat die Autorin eindrucksvoll die Genese und
Ideologie dieser verworrendsten aller Wagner-Opern beschrieben. Und eines ist
sicher: Nach der Lektüre hört man Parsifal mit anderen Ohren. Hier und in der
Analyse der anderen Opern des Komponisten zeigt Rieger auf, wie sehr Wagners
Werk durch seine (und zeitgenössische) Vorstellungen der Geschlechterrollen
geprägt ist. Und es ist nicht nur der vielleicht offensichtlichste Aspekt der
Opern, das Libretto, in dem sich zeigt, dass eine geschlechtsneutrale
Interpretation gänzlich unmöglich ist. Es ist auch und vor allem die
Musiksprache, die Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit transportiert.
In einem einleitenden Kapitel erläutert die Autorin, mit welchen musikalischen
Mitteln in der Musik Affekte und Charakterdarstellung vermittelt werden. Und in
der konkreten Werkanalyse wird dann deutlich, wie sich Wagners Ideen vom Verhältnis
der Geschlechter in der Wahl von Instrumentation, Notation und Tongeschlecht äußern.
Es gehört sicher zu den anregendsten Aspekten der Musik Wagners, wie durch Kombination und
Wandlung der musikalischen Motive Tatsachen und Tendenzen bereits "verraten"
werden, bevor sie auf der Bühne zu sehen sind.
Rieger zeigt, wie schlüssig sich dies auch für die Darstellung und
Charakterisierung der Geschlechterrollen nachweisen lässt. Es hat viel mit der
musikalischen Charakterisierung der Figuren zu tun, dass wir Wotans
Gewissenskonflikte sympathisch und die moralisierenden Einwände seiner Gattin
Fricka zickig finden. Über den in die Musik hinein komponierten Antisemitismus
des Komponisten ist viel geschrieben und diskutiert worden, am Beispiel des "weiblich
semantisierten" Mime weist Rieger überzeugend nach, wie antisemitische mit
sexistischen Ressentiments bei Wagner musikalisch eng verknüpft werden. Obwohl das Buch überaus unterhaltsam und
lesbar geschrieben ist (ein grundlegendes Interesse an und eine gewisse
Vertrautheit mit Wagners Musik vorausgesetzt), gilt es eine Warnung
auszusprechen: Es wabert viel Testosteron und aufgeblähtes Ego durch die Seiten.
Das ist gewiss nicht der Autorin anzulasten, die sich ehrlich bemüht, Wagners
kompliziertem (oder wer weiß, vielleicht auch erschreckend unkompliziertem) Seelenleben
gerecht zu werden. Aber die Erkenntnis, in welchem Ausmaß Wagners emotionale
und sexuelle Frustrationen ebenso wie seine Idealvorstellungen in die Darstellung
von potenten Helden (Riegers Beschreibung Siegfrieds ist überaus entlarvend), dämonischen
Verführerinnen und selbstlos aufopfernden Liebenden Einzug hielten, ist
desillusionierend. Ein Glück für Wagner, dass seine Musik seine "begrenzten
Vorstellungen" immer wieder durchbricht… Es ist explizit nicht Inhalt des Buches,
auf die andauernde (Neu)interpretation des Wagner´schen Werkes auf der Opernbühne
einzugehen, eher im Gegenteil will die Autorin das Verständnis der Werke durch
die Erläuterung der historischen und biografischen Hintergründe steigern. Dass
die Kenntnis dieser Hintergründe - die Wagner´schen Opern nicht gerade in
strahlendem Licht erscheinen lässt, ist - aus einer kritisch-feministischen
Perspektive gesehen - wohl unvermeidlich. Im Schlusssatz formuliert Rieger die
Aufforderung, der "kulturellen Tiefenstruktur" gewahr zu werden, die "sich
unaufhörlich reproduziert, wenn sie nicht ins Bewusstsein vordringt". Es lässt
sich durchaus argumentieren, dass vor allem die szenische Realisierung der
Opern auf der Bühne das Potenzial hat, diese Tiefenstruktur sichtbar zu machen.
In diesem Sinne ist zu hoffen, dass die Erkenntnisse dieses Buches irgendwann
ihren Weg in die Inszenierungen in und außerhalb Bayreuths finden werden. |
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